Sentipensante Pädagogik

„Wir lernen nur, was wir lieben“.

Francisco Mora
Neurowissenschaftler

 

Sentipensar (Fühlen+Denken) ist eine der uralten Praktiken der Abya Yala (Lateinamerika), die sich auf die Fähigkeit bezieht, „mit dem Herzen zu denken und mit dem Kopf zu fühlen“. Es ist eine Praxis, die keine Trennung zwischen Vernunft und Gefühl vorsieht; sentipensante ist also jemand, der in der Lage ist, Wissen und Gefühl zusammenzubringen, indem er das Binom Geist-Körper, Vernunft-Herz als Grundlage für neue Wege des Wissens durch Fühlen anerkennt.

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Die größte Verbreitung fand der Begriff „Sentipensante“ durch den bekannten lateinamerikanischen Schriftsteller Eduardo Galeano und den kolumbianischen Anthropologen Orlando Fals-Borda, die beide die Urheberschaft dieses Begriffs auf die Fischerdörfer der kolumbianischen Küste, insbesondere auf die Küstenfischer der Gemeinde San Martín de la Loba, zurückführen.

Fals-Borda weist auf eine kategorische Übersetzung des Herzens als Kern einer Rationalität hin, die den Epistemologien und Ontologien der Völker Lateinamerikas eigen ist.

Heute stehen diese überlieferten Formen des Verständnisses und der Nutzung des Wissens, der Gemeinschaft und des Territoriums mehr denn je im Mittelpunkt der Bildungsdiskussion; die Erkenntnisse der Neurowissenschaftler der letzten Jahre, die die Bedeutung der biologisch-körperlichen Komponente und der emotionalen Komponente als Hauptmotor der Wissensgenerierung aufzeigen (Nazareth Castellanos und Francisco Mora). Es ist unbestreitbar, dass „Sentipensante“ Ansätze zu einem pluralistischen und holistischen Ansatz für transformative Lernerlebnisse führen können.

Website der Fortbildung Sentipensante Pädagogik

Territorio Cuerpo Tierra

Territorio Cuerpo Tierra ist eine Anregung des Netzwerkes der Ahnenheilerinnen des Gemeinschaftsfeminismus in Maya Territorium in Guatemala. Der Ansatz Cuerpo Territorio stammt aus den indigener Gemeinschaften. Dabei wird das von uns bewohnte Territorium als Netz des Lebens und als historischer Körper verstanden. Er hilft uns, systematische Unterdrückungen zu verstehen und Wege für kollektive Befreiung zu erkennen.

Webseite der Weiterbildung Cuerpo Territorio

Koloniale Kontinuitäten

Die meisten der während der Kolonialzeit besetzten Gebiete haben in den letzten zwei Jahrhunderten ihre Unabhängigkeit  errungen. Dennoch bestehen Teile der aufgebauten politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Abhängigkeiten sowie Diskriminierungen weiter. Diese Machtverhältnisse werden durch sichtbare und unsichtbare Mechanismen aufrechterhalten und verfestigt.

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Ein Beispiel für diese Mechanismen sind Freihandelsabkommen mit unfairen Konditionen, die Ländern des Globalen Südens – teilweise durch politischen und ökonomischen Druck – aufgezwungen werden. Bedingungen sind oftmals die Öffnung nationaler Märkte, was zu einer Verdrängung der heimischen Produkte führt. Auch Entwicklungskredite internationaler Organisationen wie der Weltbank oder des Internationalen Währungsfonds beinhalten Auflagen, die oftmals zu sozialem Abbau führen und nationale Märkte für Auslandsinvestitionen öffnen – und damit Abhängigkeiten verfestigt. Schon in den 1990ern gerieten die Weltbank und der IWF für ihre Kreditvergaben und den damit verbundenen Strukturanpassungsforderungen in starke Kritik.

Länder des Globalen Nordens sichern sich darüber hinaus Rohstoffimporte, kontrollieren Absatzmärkte und stärken ihre Exportwirtschaft durch Subventionen. Gleichzeitig schützen sie mit Zöllen und begrenzten Einfuhrmengen den eigenen Markt gegen ausländische Erzeugnisse wie Agrar- und weiterverarbeitete Produkte. Auf diese Weise verstärken sich globale Ungerechtigkeiten und ausbeuterische Strukturen, von denen hauptsächlich der Globale Norden und Eliten aus dem Globalen Süden profitieren. Durch die Aneignung von Land (Landgrabbing) sichern sich sogenannte Industrie- und Schwellenländer, aber auch im Energie- und Agrarsektor tätige transnationale Unternehmen, zusätzlich riesige Flächen (vor allem im Globalen Süden), um dort für den Export anzubauen.  Vertreibung, territoriale Auseinandersetzungen, Nahrungsmittelkrisen, Wasserknappheit und Konflikte um Wasser sind häufige Folgen. Für die große Mehrheit der Menschen aus dem Globalen Süden besteht die koloniale Arbeitsteilung, die sie zu Rohstofflieferant*innen und Billiglohnarbeiter*innen degradiert, mit all ihren sozialen Problemen und massiver Umweltverschmutzung, fort. Sie tragen die sozialen, ökologischen und ökonomischen Konsequenzen, die viele transnationale Unternehmen zur Gewinnmaximierung in Kauf nehmen.

Viele gesellschaftliche Strukturen der kolonisierten Gebiete, das Wissen, die Kultur oder die Sprachen der heimischen Völker wurden durch die kolonialen Herrschaftsstrukturen marginalisiert und weitestgehend zerstört. Ehemals willkürlich festgelegte Grenzziehungen tragen auch nach der Unabhängigkeit von Staaten zu politischen und gesellschaftlichen Konflikten bei. Durch die Arbeit westlich dominierter internationaler Institutionen (wie Weltbank, IWF, WTO, WHO, etc.), aber auch durch Werbung transnationaler Unternehmen und konsumorientierte kulturelle Praktiken (wie „Geiz ist geil“, „Kauf dich glücklich“) wird  das westliche Wertesystem verbreitet und lokale Kulturen verdrängt. Auf diese Weise prägen auch Medienunternehmen und die Filmindustrie Konsummuster. Sie beeinflussen mentale Infrastrukturen, durch die Lust nach Neuem, nach Konsum und Wachstum in den Wünschen, Hoffnungen und Werten jeder*s Einzelnen verankert wird.

Westliche Zivilisationen beanspruchen, bewusst und unbewusst, für ihr Wissen eine fast uneingeschränkte Definitionsmacht und Deutungshoheit. Westliches Wissen diktiert so, wie bspw. „Entwicklung“ und „Fortschritt“ zu verstehen oder wie „Armut“ zu definieren und zu bekämpfen sind, ohne andere Perspektiven gleichwertig zu berücksichtigen. Auf diese Weise werden diskriminierende Abstufungen und Hierarchien zwischen Menschen und Staaten manifestiert und ein lineares Fortschreiten von „unterentwickelt“ zu „entwickelt“ als einziger richtiger Entwicklungspfad propagiert. Auch Projekte staatlicher und nichtstaatlicher Entwicklungszusammenarbeit tragen häufig zu einer Verfestigung dieser hierarchischen Strukturen bei.

Gegen diese bestehenden diskriminierenden globalen Strukturen wehren sich Menschen vieler Länder des Globalen Südens und auch des Globalen Nordens. Sie fordern Regierungen auf, den Schutz von Menschenrechten und der Natur verbindlich vorzuschreiben, verhindern und blockieren ausbeuterische Projekte auf ihren Territorien, verlangen Selbstbestimmungs- und Mitbestimmungsrechte (ILO-Konvention 169, Right to Say NO Kampagne), zeigen solidarische Gemeinschaftsstrukturen als Alternativen auf oder setzen sich für die Dekolonisierung des Wissens und des Körpers ein. Der Widerstand gegen diese Machstrukturen ist vielfältig und besteht schon seit der Kolonisierung der Gebiete. Beispielsweise zählte der Maji Maji Aufstand von 20 Volksgruppen als größte Widerstandsaktion gegen die deutsche Besatzung in Deutsch-Ostafrika und aufgrund der brutalen Niederschlagung zu den grausamsten Kapiteln der deutschen Kolonialgeschichte. Auch heute kämpfen indigene Völker, wie die Mapuche und Aymara in Südamerika, aber auch Völker in der Arktis, Nordeuropa, Asien, Ozeanien oder im südlichen Afrika für ihre Rechte und ihre Territorien, die Anerkennung ihrer Sprache, Traditionen und Kultur.

Ausführlichere Informationen zum Thema findest du hier in unserer Broschüre „Wirtschaft anders machen.

Koloniale Kontinuitäten und den Umgang mit diesen thematisieren auch unsere Bildungsvideos. Diese findest du hier.

Postwachstum / Degrowth

„Ohne Wachstum keine Arbeitsplätze,
ohne Wachstum keine Gelder für die Bildung,
ohne Wachstum keine Hilfe für die Schwachen.“

So bewarb Bundeskanzlerin Angela Merkel 2009 das sogenannte „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ als Reaktion auf die Finanz- und Wirtschaftskrise.

Doch wenn die Wirtschaft wächst, dann bedeutet das auch, dass natürliche Ressourcen verbraucht werden: Immer mehr Rohstoffe werden aus der Erde entnommen, unter Aufwendung von Erdöl und anderen Energiequellen weiterverarbeitet, über lange Strecken transportiert, genutzt und irgendwann auch wieder weggeworfen und entsorgt. Ebenso steht Wachstum in engem Zusammenhang mit dem stetig zunehmenden Ausstoß von Klimagasen wie CO2. Insbesondere der fortschreitende Klimawandel hält es uns vor Augen: Wachstum stößt an ökologische Grenzen. Endlich Wachstum!?

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Trotz umfassender Nachhaltigkeitsrhetorik in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft gilt das am Bruttoinlandsprodukt (BIP) gemessene wirtschaftliche Wachstum noch immer als wichtigster Indikator für das Wohlergehen einer Gesellschaft. Der Wachstumszwang in unserem System wird kaum hinterfragt. Wachstum und die daran gekoppelte Wohlstandsdefinition sind allerdings nicht allein auf der Agenda von Politik und Unternehmen zu finden. Die Wachstumslogik durchdringt und prägt maßgeblich auch unser alltägliches Denken und Handeln. Viele unserer Lebensfelder, ob Familie, Freizeit oder Arbeit, werden mehr und mehr von der Ökonomie bestimmt und unterliegen der Vorstellung unbegrenzter Zunahme, vor allem des materiellen Konsums. Dabei stellen immer mehr Untersuchungen den Zusammenhang von Wachstum und Wohlstand und insbesondere dessen Auswirkungen auf unsere Zufriedenheit infrage. Angesichts der eklatanten Ungleichheit der Verteilung des materiellen Wohlstands auf dem Planeten stellt sich hier zudem die Frage nach globaler Gerechtigkeit.

Vor diesem Hintergrund bekommen Debatten um Nutzen und Grenzen wirtschaftlichen Wachstums zurzeit ein immer größeres Gewicht in Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften. Sowohl im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise als auch heute in Zeiten der erstarkten Umweltbewegung wird Wachstum als ein Grundzug der kapitalistischen Wirtschaft in vielen Ländern kritisch diskutiert.

Die historischen Wurzeln der Debatte im Globalen Norden reichen bis in die 60er- und 70er-Jahre zurück. Am bekanntesten ist der viel diskutierte Bericht an den Club of Rome „Die Grenzen des Wachstums“. Darin wurde bereits 1972 geschlussfolgert, dass die Menschheit noch vor dem Jahr 2100 ohne viele der benötigen Rohstoffe dastehen und ihre Wirtschaft kollabieren würde, wenn diese weiterhin so viele Ressourcen verbrauche und die Weltbevölkerung im gleichen Tempo weiter zunehme. Heute, fast 50 Jahre später, zeigen sich die Grenzen des Wachstums noch deutlicher und das Wachstumsparadigma wird zunehmend angezweifelt. Historische Wurzeln der Debatte liegen aber ebenso im Globalen Süden. Nachhaltigkeit ist keine Erfindung der europäischen Moderne, sondern uraltes Wissen in zahlreichen Regionen der Welt.

Die Positionen der aktuellen Wachstumskritik in Deutschland sind breit gefächert. Zahlreiche Autor*innen skizzieren unterschiedlichste Alternativen, die von konservativer Rückbesinnung über eine Steady State Economy mit Nullwachstum, vom Green New Deal mit einem Wachstum „grüner“ Technologien bis hin zu einer Postwachstumsökonomie mit Wachstumsrücknahme bzw. Schrumpfung reichen. Mittlerweile sind zumindest einige Aspekte der Wachstumskritik auch auf höchster politischer Ebene angelangt, nachdem die Bundesregierung 2010 die Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“ ins Leben gerufen hat. Diese geht unter anderem Fragen nach dem Stellenwert von Wachstum in Wirtschaft und Gesellschaft nach und beschäftigt sich mit der Suche nach einem ganzheitlichen Wohlstands- und Fortschrittsindikator als Ergänzung oder Ersatz für das BIP.

FairBindung e.V. setzt sich für eine Gesellschaft ein, deren ethischer Grundwert Gerechtigkeit ist. Dies gilt für den lokalen, den regionalen und den globalen Maßstab. Wenn wir den Anspruch eines Lebens in Würde für alle Menschen auf der Welt haben und Wachstum für Millionen Menschen im Globalen Süden brauchen, um ihre Grundbedürfnisse befriedigen zu können, stellt sich die Frage, ob und inwieweit die Ökonomien im Globalen Norden noch weiter wachsen dürfen und wie Wachstum im Globalen Süden aussehen könnte. Damit begeben wir uns auf die Suche nach Alternativen zum Wirtschaftswachstum und möchten dazu einladen, eine Gesellschaft und Wirtschaft jenseits des Wachstums – eine Postwachstumsgesellschaft – mit zu entwickeln, die die ökologischen Grenzen des Planeten achten und sich an den Prinzipien Solidarität, Demokratie und globale Gerechtigkeit orientieren.

Insbesondere haben wir dieses Themenfeld zum Fokus unserer Bildungsangebote und der von uns gestalteten Bildungsmaterialien gemacht.

Solidarische Ökonomie

Unter einer Solidarischen Ökonomie verstehen wir solche Formen des Wirtschaftens, die nicht den individuellen Vorteil und Profitstreben zum Ziel haben, sondern die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse auf der Basis von Solidarität, Kooperation und demokratischer Teilhabe in den Mittelpunkt stellen. Dies schließt für uns auch den verantwortungsbewussten und damit nachhaltigen Umgang mit natürlichen Ressourcen und dem Planeten Erde ein. Wir orientieren uns bei FairBindung e.V. an dem Leitbild einer solidarischen und nachhaltigen Wirtschaft, die wir einerseits in unserem eigenen Wirtschaftsbetrieb mit dem Kaffeehandel zu verwirklichen suchen und zugleich indem wir durch die Vereinsarbeit, insbesondere auch unsere Bildungsprojekte den Gedanken der Solidarischen Ökonomie und der Nachhaltigkeit weiter verbreiten.

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Was ist Solidarische Ökonomie?

Eine allgemeingültige Definition zu Solidarischer Ökonomie gibt es nicht. Es existieren zahlreiche Ansätze, Vorstellungen und Ideen, die sich unter diesem Begriff subsummieren lassen. Der Begriff unterliegt dabei einer äußerst heterogenen Verwendung, die abhängig von Kontext und Region, hinsichtlich der ihr zugehörigen Akteur*innen, der Abgrenzung zu Staat und Markt etc. variiert. Zudem sind zahlreiche weitere Begriffe im Umlauf, die teilweise synonym verwendet werden (Economía Social/Social Economy/Solidary Economy/Economia Solidária). Wir verstehen unter dem zunächst paradox erscheinenden Begriffspaar Solidarische Ökonomie solche Formen des Wirtschaftens, die nicht den individuellen Vorteil und Profitstreben zum Ziel haben, sondern die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse auf der Basis von Solidarität, Kooperation und demokratischer Teilhabe in den Mittelpunkt stellen. Dazu gehören die folgenden Werte und Prinzipien:

  • Demokratische und partizipative Strukturen, in denen allen das gleiche Mitspracherecht zuteil ist
  • nicht für den persönlichen Profit zu wirtschaften, sondern sich an den Bedürfnissen der Mitarbeiter*innen sowie der Gemeinschaft zu orientieren
  • nicht zu konkurrieren sondern zu kooperieren und sich im Sinne der Solidarität gegenseitig zu unterstützen
  • aus eigener Initiative und basierend auf Selbstorganisation und gegenseitiger Hilfe zu wirtschaften
  • sich am Leitbild der Nachhaltigkeit orientieren und sorgsam mit natürlichen Ressourcen umgehen

Solidarische Ökonomie kann in unterschiedlichen Räumen und Dimensionen stattfinden. Meist wird sie auf lokaler Ebene praktiziert. Fairer Handel, der in der Regel große räumliche Distanzen überwindet – in unserem Fall von Santiago de Atitlán nach Berlin ganze 10.000 km – kann jedoch auch als Form der Solidarischen Ökonomie bezeichnet werden. Solidarische Ökonomie kann also unterschiedlich große wirtschaftliche Einheiten umfassen. Sie manifestiert sich entweder in Form solidarischer Einzelunternehmen oder Projekte (selbstverwaltete Betriebe, Kooperativen, gemeinschaftliche Wohnprojekte, Tauschringe, Umsonstläden etc.), anhand großer Zusammenschlüsse von Kooperativen, oder in Gestalt alternativer regionaler Wirtschaftssysteme (z.B. ALBA). Einschränkend ist jedoch festzuhalten, dass Solidarische Ökonomie nicht jede beliebige Form ökonomischer Selbstorganisation umfasst, vielmehr müssen bewusst solidarische Ziele durch wirtschaftliches Handeln verfolgt werden. Solidarische Ökonomie besitzt dabei zwei Facetten: Zum einen die Kritik am bestehenden ökonomischen System, sowie zum anderen die praktische Erprobung von Alternativen. Insbesondere in Lateinamerika erfährt die Solidarische Ökonomie heute eine dynamische Entwicklung. Doch auch in Deutschland erfahren Formen des solidarischen Wirtschaftens in den vergangenen Jahren wieder vermehrt Interesse. So hat sich das Netzwerk Solidarische Ökonomie gegründet, um die Vielzahl der Betriebe, Organisationen und Netzwerke der Solidarischen Ökonomie noch stärker miteinander zu vernetzen und die politischen Rahmenbedingungen für ihre Arbeit zu verbessern.

Was heißt Solidarität?

Der Begriff der „Solidarität“ durchläuft eine lange begriffsgeschichtliche Entwicklung. Seine historischen Wurzeln reichen von der Rechtskategorie über die Verwendung als revolutionäre Lösung bis hin zur Kampfsolidarität des Marxismus. Somit erlebt die Solidarität im Laufe der Zeit einen vielfachen Bedeutungswandel, der sich noch heute in sehr heterogenen Auffassungen manifestiert. Trotzdem weist die Solidarität zumindest ein gemeinsames Element auf: Die „Idee eines wechselseitigen Zusammenhangs zwischen den Mitgliedern einer Gruppe von Menschen.“ Der Zusammenhalt basiert auf substantiellen und inneren, sprich emotionalen, Gemeinsamkeiten und hat daher den Charakter einer Gemeinschaft. Dieser Gemeinschaftscharakter schließt sowohl die Erwartungshaltung, Hilfe im Bedarfsfall zu bekommen, als auch die Bereitschaft diese Hilfe zu leisten, mit ein. Hilfsbereitschaft darf in diesem Kontext nicht als bloße Philantrophie verstanden werden sondern als Mittel, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Dabei werden Weg und Ziel auswechselbar, erfahren die Gemeinschaftsmitglieder doch schon auf dem Weg, was der Mensch zu sein vermag, sobald er sein Ziel erreicht hat. So stellt BAYERTZ in seinem Sammelwerk über Begriff und Problem der Solidarität fest: „[Die] praktizierte Solidarität wird zu einem Stück gelebter Utopie, zur [partiellen] Realisierung eines bisher unrealisierten Ideals.“ Die bloße Gemeinsamkeit der Interessen ist jedoch nicht hinreichend für Solidarität. Der Gemeinschaft und ihre Absichten wird in ihren Handlungen Legitimität unterstellt. Hilfe wird mit dem vollen Bewusstsein erbracht, wichtige und berechtigte Interessen durchzusetzen; schließlich sind Ziel und Selbstverständnis politischer und sozialer Emanzipationsbewegungen in ihrer Wahrnehmung immer die Realisierung gerechter Ziele, nicht die Durchsetzung nackter Interessen.

Fairer und solidarischer Handel

Sowohl der solidarische als auch der Faire Handel haben sich einer Sache verschrieben: sich für gerechtere Löhne der Produzent*innen in den Ländern des Globalen Südens einzusetzen. Das Ziel ist es, nicht nur einen Mindestlohn bzw. Mindestpreis zu zahlen, sondern den Menschen durch ihre Bezahlung einen gewissen Lebensstandard zu ermöglichen, so dass sie davon gut leben können. Die Höhe des Mindestpreises unterscheidet sich bei beiden Formen alternativen Wirtschaftens allerdings etwas. So lehnt sich der Fair-Trade-Mindestpreis an der FLO (Fairtrade Labelling Organizations International) an, beim solidarischen Handel kann dies je nach Handelspartner variieren und liegt oftmals über dem Preis der FLO. Neben der Fairhandelsprämie, die beide zusätzlich an die Partner*innen zahlen, kommt bei einigen Organisationen des solidarischen Handels noch eine Strukturprämie oben drauf, die die Produzent*innen im Globalen Süden nutzen können, um sich besser eigenständig organisieren zu können.

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Der Faire Handel hat es geschafft, in der breiten Bevölkerung ein Bewusstsein zu schaffen, kritischer zu konsumieren und nicht nur die Natur, sondern auch die Menschen, die hinter den einzelnen Produkten stehen, zu sehen und zu achten. Nicht nur der Faire, sondern auch der solidarische Handel legen großen Wert darauf, auf politischer Ebene zu handeln und sich für die Lebens- und Arbeitsbedingungen ihrer Produzent*innen einzusetzen. Beim solidarischen Handel kennen sich die Erzeuger*innen und Händler*innen meist persönlich, verhandeln über Produkte und Preise und besuchen sich gegenseitig. Dadurch können sie auf die Bedürfnisse und Sichtweisen der Partner*innen eingehen. Für beide Handelsalternativen gelten partnerschaftliche Prinzipien wie dauerhafte und möglichst direkte Handelsbeziehungen. Die Mitglieder des Fairen Handels zahlen bei Bedarf an die Genossenschaften schon vor der Lieferung eine Anzahlung, die so genannte Vorfinanzierung. Auch die Umstellung auf biologische Landwirtschaft wird im Fairen Handel stark gefördert. Gleiches gilt beim solidarischen Handel, wobei es dort eher Standard ist, eine Vorfinanzierung zu ermöglichen.

Es gibt neben all den positiven Auswirkungen natürlich auch Kritikpunkte, die von den Konsument*innen eine Auseinandersetzung mit den Produkten und der Wertschöpfungskette erfordern. Alleine eine Zertifizierung macht am Ende nicht immer den erhofften Unterschied, denn für das Fair-Trade-Siegel reicht es zum Beispiel oftmals schon aus, wenn 20 Prozent der Zutaten eines Produktes fair gehandelt sind. Zertifizierungen sind teuer und anfällig für Missbrauch, daher setzen kleinere Kooperativen stattdessen häufig auf Vertrauen und persönliche Beziehungen zu den Produzent*innen. Manche Betriebe und Organisationen verzichten deshalb bewusst auf das Siegel, da ihre Standards ohnehin darüber liegen. So zählt zum Beispiel im solidarischen Direkthandel das persönliche Vertrauen mehr als ein Biosiegel. Weder der Begriff des Fairen Handels noch der des solidarischen Handels wird einheitlich definiert und es gibt keinen gesetzlich geschützten Standard. Dementsprechend kann jede Organisation ihre Kriterien selbst festlegen und je nach Siegel gibt es unterschiedliche Kriterien, die eingehalten werden müssen.

Am Ende haben auch die Konsument*innen eine Verantwortung. Wir können uns informieren und uns nicht nur auf Siegel oder Bezeichnungen verlassen, sondern uns proaktiv mit Produkten auseinandersetzen – über den Tellerrand hinaus.

Wenn du mehr über unseren Ansatz des solidarischen Kaffeehandels erfahren willst, klicke hier oder informiere dich hier in unserer Broschüre „Wirtschaft anders machen“.

Kooperativen

Der Begriff cooperative auf Englisch stammt vom Wort cooperation, das seinen Ursprung im lateinischen operari (arbeiten) und dem Prefix co (zusammen) hat. Der Begriff bedeutet somit Zusammenarbeit. Im deutschen wird oft von Genossenschaften gesprochen, welche die Internationale Organisation für Arbeit wie folgt definiert: „Eine Genossenschaft ist eine autonome Vereinigung von Personen, die sich freiwillig zusammengeschlossen haben, um ihren gemeinsamen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen und Bestrebungen durch ein gemeinsames und demokratisch kontrolliertes Unternehmen gerecht zu werden.“

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Die moderne Genossenschaftsbewegung hat ihre Wurzeln in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Die sozialen Umwälzungen durch die sich von England ausbreitende Industrialisierung bedeuteten für viele Menschen große Armut und Elend. Die Auflösung sozialer Netze, Landflucht und katastrophale Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Städten waren die Folge. Vor diesem Hintergrund organisierten sich Arbeiter*innen und Bäuer*innen zunehmend und suchten gemeinsam nach Lösungen für ihre Probleme und Bedürfnisse.

Im Kern des gesellschaftlichen Prozesses der Genossenschaftsbewegung steht die Kooperation, um für alle Seiten vorteilhafte Ergebnisse zu erreichen. Genossenschaften sind somit ein praktischer Gegenentwurf zu kapitalistischen Unternehmen oder – auf wissenschaftlicher Ebene – zu liberalen Vordenker*innen des freien Marktes wie Adam Smith. Während der liberale Kapitalismus das individuelle Profitstreben jedes einzelnen am Wirtschaftsleben Beteiligten propagiert, konzentrierten sich Genossenschaften auf kollektive Lösungen für Probleme.

Genossenschaften begeben sich heute wie damals gemeinsam auf die Suche nach Wegen, um Ungerechtigkeiten und Machtasymmetrien unseres globalen Wirtschaftssystems zu verändern. Während sie in industrialisierten Wirtschaften zu einer breiteren Verteilung beitragen, werden sie in Ländern des Globalen Süden als erfolgreiches Instrument für eine nachhaltige wirtschaftliche und soziale Entwicklung eingesetzt. Sie stellen wesentliche Infrastrukturen und Dienstleistungen auch in Bereichen zur Verfügung, die von staatlichen und von profitorientierten Unternehmen vernachlässigt werden.

Genossenschaften schaffen und erhalten nachweislich Arbeitsplätze. So sind heute weltweit rund 280 Millionen Menschen in Genossenschaften tätig, was etwa zehn Prozent der erwerbstätigen Weltbevölkerung entspricht. Sie werden außerdem als „Schulen der Demokratie“ bezeichnet, in denen Mitglieder Entscheidungen über ihre eigene Organisation treffen. Dabei hat jedes Mitglied der Genossenschaft eine Stimme. Darüber hinaus finden regelmäßige offene Sitzungen für Austausch und Information statt, was für Transparenz sorgt. Dies hat zum Ziel, dass sich alle gleichberechtigt an der Planung und Entscheidungsfindung beteiligen können.

Ausführlichere Informationen zum Thema findest hier in unserer Broschüre „Wirtschaft anders machen“. Wenn du mehr über die Kooperative erfahren willst, von der wir unseren Kaffee beziehen, klicke hier.